Deutschland ist in den europäischen Gasbinnenmarkt integriert und importiert sowie exportiert als wichtiges Transitland große Mengen an Erdgas über das europäische Pipelineverbundnetz. Bei einem erfolgreichen Wasserstoffmarkthochlauf könnte dies in Zukunft analog für den Wasserstoffmarkt gelten. Am EWI gibt es zwei Modelle, die diesen (potenziellen) Binnenmarkt modellieren: Das TIGER Modell und das H2-TIGER Modell.
Das EWI-Modell TIGER ist ein hochaufgelöstes Gasinfrastrukturmodell und bildet die kostenminimale Gasbereitstellung in Europa unter gegebenen Infrastruktur-, Produktions- und Importrestriktionen ab. Als Produzenten sind neben inländischen Produktionskapazitäten und LNG-Importen die wesentlichen Exportregionen für Pipelinegas nach Europa abgebildet. Mit Hilfe des Modells können Gasflüsse über vorhandene Infrastruktur des europäischen Marktes untersucht werden. Dies beinhaltet die Simulation von Pipelines, Speichern und Importterminals sowie deren Interdependenzen unter Minimierung der Gesamtkosten. Die Modellierung erfolgt für jährliche, monatliche oder tägliche Zeitschritte, sodass auch saisonale Schwankungen in Erzeugung und Nachfrage sowie der Einsatz von Speichern berücksichtigt werden können.
Das Modell wurde 2007 im Rahmen eines internen Forschungsprojektes am EWI entwickelt und seither fortlaufend weiterentwickelt. Im Rahmen zahlreicher Forschungs- und Beratungsprojekte wurde es vielfältig eingesetzt und validiert. Die europäische Infrastruktur ist hoch detailliert abgebildet:
Alle europaweiten Infrastrukturdaten sind in einer geokodierten Datenbank des EWI gespeichert und werden fortlaufend aktualisiert. Aufgrund der vorliegenden Geoinformationen ist eine schnelle Visualisierung der Ergebnisse möglich.
Die Berücksichtigung von länder- sowie sektorspezifischer Nachfrage, Produktion sowie Gasinfrastruktur erfolgt in TIGER an Modellknoten. Hierbei werden die vielschichtigen Zusammenhänge des europäischen Gasmarktes und der -infrastruktur teilweise vereinfacht, um die Komplexität bei der Lösung des Modells (Kostenoptimierung der Gasbereitstellung) gegenüber der Rechenzeit zu optimieren. Zwischen einzelnen Modellknoten sind Pipelinesegmente mit Transportkapazitäten hinterlegt, die teilweise aggregiert werden, um die essenziellen Pipelineverbindungen und -kapazitäten in Europa zu berücksichtigen. Standorte für LNG-Terminals und Untertagespeicher sind standortscharf abgebildet. Die Nachfrage an den Modellknoten ist auf NUTS-2 Ebene aggregiert. Weiterhin sind Long-Term Contracts (LTCs) und Entry-Exit-Tarife zwischen wichtigen Hub-Regionen im Erdgasmarkt hinterlegt. Grundsätzlich erlaubt TIGER auch die Berechnung von Preisen an den Modellknoten, welche somit bspw. Knappheiten beim Gasangebot darstellen und sich gut zwischen verschiedenen Szenarien vergleichen lassen.
Vor dem Hintergrund des geplanten Wasserstoffmarkthochlaufs wurde das Modell TIGER weiterentwickelt, um zukünftige Wasserstoffinfrastruktur mit abzubilden. Das H2-TIGER Modell ermöglicht somit die Untersuchung der kostenoptimalen Bereitstellung von Wasserstoff und Erdgas unter Berücksichtigung der Infrastrukturrestriktionen im europäischen Erdgas- und Wasserstoffmarkt. Zur Begrenzung der Rechenzeit berücksichtigt das H2-TIGER Modell die Erdgasinfrastruktur in vereinfachter Auflösung und setzt stattdessen den Fokus auf die mögliche Umwidmung und den Neubau von Wasserstoffinfrastruktur.
Die gemeinsame Betrachtung der bestehenden Erdgas- und zukünftigen Wasserstoffinfrastruktur ist insbesondere während des Wasserstoffmarkthochlaufs interessant. Das Modell lässt sich dafür nutzen, Umwidmungs- bzw. Transformationspfade von Erdgas- auf Wasserstoffinfrastruktur unter Aufrechterhalten der Versorgungssicherheit für beide Märkte zu untersuchen. Zudem können beispielsweise unvorhersehbare Ereignisse wie der Ausfall eines Lieferanten, wichtiger Infrastruktur oder das Auftreten einer plötzlichen Kältewelle simuliert und ihr Einfluss auf die Gas- und Wasserstoffbereitstellung analysiert werden.
Herausragend im H2-TIGER Modell ist, dass die Wasserstoffproduktionsregionen nicht nur exogen im Modell vorgegeben, sondern auch endogen vom Modell ermittelt werden können unter Berücksichtigung regionaler Produktionspotenziale sowie gegebener Kosten- und Infrastrukturszenarien. Weiterhin sind hier auch Schnittstellen zu bestehenden Strominfrastrukturmodellen möglich (bspw. das EWI-Modell SPIDER), um eine zukünftige systemdienliche Wasserstoffproduktion unter Berücksichtigung von Stromnetzrestriktionen zu modellieren.
Das H2-TIGER Modell erlaubt die Untersuchung szenarienbasierter Infrastrukturentwicklungen im europäischen Erdgas- und Wasserstoffmarkt. Dabei können zahlreiche Parameter ausgewertet werden, u.a.: