Einhaltung des Emissionsbudgets bis 2030 unsicher, aber bestätigt – spätestens ab 2030 deutliche Zielverfehlungen zu erwarten

Einhaltung des Emissionsbudgets bis 2030 unsicher, aber bestätigt – spätestens ab 2030 deutliche Zielverfehlungen zu erwarten
15. Mai 2025 |

Der Expertenrat für Klimafragen hat heute seinen Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2024 und zu den Projektionsdaten 2025 vorgelegt. EWI-Direktor Marc Oliver Bettzüge ist Teil des fünfköpfigen Gremiums.

Expertenrat stellt trotz unterschätzter Emissionen in Projektionsdaten keine Budgetüberschreitung bis 2030 fest

Der Expertenrat konnte die Berechnung der Emissionsdaten für das Vorjahr 2024 nachvollziehen und bestätigt die Ergebnisse des Umweltbundesamts. Dabei stellt er fest, dass der Gebäudesektor sowie der Verkehrssektor im Jahr 2024 zum wiederholten Male die vorgegebenen Jahresemissionsmengen überschreiten. In beiden Sektoren ist die Überschreitung höher als im Vorjahr.

Gemäß den diesjährigen Projektionsdaten würde das im Klimaschutzgesetz festgelegte Emissionsbudget für die Jahre 2021 bis 2030 mit einem Puffer von 81 Mt CO2-Äq. eingehalten werden. In seiner Prüfung der Daten gelangt der Expertenrat zum Ergebnis, dass die Projektionsdaten die Emissionsmengen bis 2030 tendenziell unterschätzen. Das Maß der Unterschätzung liegt nach Einschätzung des Expertenrats aber etwa in der Größenordnung des in den Projektionsdaten 2025 ausgewiesenen Puffers. Vor dem Hintergrund der gegebenen Unsicherheiten stellt der Expertenrat im Sinne seines Auftrags fest, dass die Summe der Treibhausgasemissionen der Jahre 2021 bis 2030 die entsprechende nach Klimaschutzgesetz zulässige Menge weder über- noch unterschreitet. Somit liegt keine zweite Überschreitung im Sinne von § 8 Absatz 1 KSG vor und der Auslösemechanismus zur Nachsteuerung kommt nicht zur Anwendung.

„Zwar stellen wir im Ergebnis unserer Prüfung keine Überschreitung des Emissionsbudgets bis 2030 fest. Aber ohne den Puffer, der sich in den Jahren 2021 bis 2024 unter anderem durch Corona und die schwache Wirtschaft aufgebaut hat, wäre bis Ende 2030 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine deutliche Budgetüberschreitung zu erwarten gewesen“, so der Ratsvorsitzende Hans-Martin Henning. „Zudem werden laut Projektionsdaten die nationalen Verpflichtungen unter der europäischen Lastenteilung ab dem Jahr 2024 verfehlt. Sie weisen eine im Vergleich zum vorigen Jahr gewachsene Ziellücke bis 2030 auf. Auch das übergeordnete 65‑Prozent-Ziel für das Jahr 2030 würde nicht erreicht.“

Expertenrat regt Weiterentwicklung der Zielarchitektur im Klimaschutzgesetz an

Für die Jahre nach 2030 zeigen die Projektionsdaten eine deutliche und im Zeitverlauf zunehmende Zielverfehlung. Der Sektor Landnutzung LULUCF wird in den Projektionsdaten nicht mehr als Senke von Emissionen, sondern als Emissionsquelle ausgewiesen – ein Trend, der laut Projektionsdaten bis 2045 und darüber hinaus anhält. Grund dafür ist der schlechte Zustand des Waldes. Damit verbleiben laut den Projektionsdaten im Jahr 2045 ohne den Sektor LULUCF Emissionen in Höhe von 204 Mt CO2-Äq. Wird der Sektor LULUCF einbezogen, fallen die Restemissionen sogar noch höher aus. Das übergreifende Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 würde damit sehr deutlich verfehlt.

Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen verbleibende Restemissionen durch die Senkenleistung des Sektors LULUCF und durch technische Senken ausgeglichen werden. Derzeit besteht Unklarheit darüber, ob und unter welchen Bedingungen sich der Sektor LULUCF wieder zu einer Emissionssenke entwickeln kann. Auch der Einsatz negativer Emissionstechnologien ist bislang mit zahlreichen Unwägbarkeiten verbunden. Vor dem Hintergrund der projizierten Zielverfehlungen und der unabsehbaren Entwicklungen im Bereich der Senken empfiehlt der Expertenrat in seinem Gutachten die Klärung und Ergänzung der Zielarchitektur des Klimaschutzgesetzes. Insbesondere sollte zügig eine Langfriststrategie entwickelt werden, welche das Zusammenspiel von Restemissionen, dem LULUCF-Sektor und technischen Senken beim Erreichen der Klimaneutralität im Zieljahr 2045 und auf dem Weg dorthin präzisiert. „Das Klimaschutzgesetz enthält bislang kein eigenständiges Ziel für die Restemissionen im Jahr 2045, die Bundesregierung hat das Ziel für die technischen Senken noch nicht definiert, und das Ziel für LULUCF wird in den Projektionsdaten weit verfehlt“, erläutert Ratsmitglied Marc Oliver Bettzüge und ergänzt: „Damit ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar, wie die Bundesregierung das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 erreichen will.“ Der Expertenrat empfiehlt deshalb eine rasche Klärung und fordert einen konsistenten klimaschutzpolitischen Rahmen.

Anstehendes Klimaschutzprogramm sollte identifizierte Problembereiche gezielt adressieren

Auch wenn kein Nachsteuern aufgrund einer zweiten Zielverfehlung notwendig ist, steht laut Klimaschutzgesetz der Beschluss eines Klimaschutzprogramms innerhalb der ersten zwölf Monate nach Beginn der Legislatur an, also bis Ende März 2026. Gemäß Gesetz müssen darin die festgestellten Zielverfehlungen bis 2040 vollständig adressiert werden. Zusätzlich sollte aus Sicht des Expertenrats auch die Zielverfehlung der Klimaneutralität bis 2045 in den Blick genommen werden, auch wenn letztere nicht ausdrücklicher Bestandteil eines Klimaschutzprogramms sein muss. Im Bericht identifiziert der Expertenrat eine Reihe von Handlungsfeldern, die eine besondere Aufmerksamkeit im Klimaschutzprogramm verdienen, unter anderem Maßnahmen im Verkehrs- und Gebäudesektor, die Umsetzung des 2. Europäischen Emissionshandels EU-ETS 2 sowie Maßnahmen im Sektor LULUCF und zur Umsetzung von technischen Senken.

In seinem Bericht nimmt der Expertenrat auch einen Abgleich dieser Handlungsfelder mit den Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag vor. „Vom Koalitionsvertrag geht kein nennenswerter Impuls für die Zielerreichung im Jahr 2030 aus“, stellt die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf fest. „Zudem adressiert der Koalitionsvertrag die maßgeblichen Problemfelder nicht explizit und bleibt an vielen Stellen vage. Wir empfehlen daher, das anstehende Klimaschutzprogramm neben der Sicherstellung der Zielerreichung für das Jahr 2030 auch explizit auf die identifizierten Handlungsfelder und die langfristige Erreichbarkeit der Klimaneutralität auszurichten.“

Der Expertenrat für Klimafragen ist ein unabhängiges Gremium aus fünf sachverständigen Personen verschiedener Disziplinen. Er wurde im September 2020 benannt und ist beauftragt durch § 11 und § 12 KSG. Das Gremium besteht aus den fünf Mitgliedern Prof. Dr. Hans-Martin Henning (Vorsitzender), Dr. Brigitte Knopf (stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Prof. Dr. Thomas Heimer und Dr. Barbara Schlomann.