Einschlägige Klimaneutralitätsszenarien identifizieren Wasserstoff als wichtigen Energieträger zur Erreichung der Klimaneutralität. Je nach Szenario unterscheidet sich die Nachfrage der Sektoren sowie die regionale Verteilung dieser. Daher hat das EWI untersucht, inwiefern das genehmigte Wasserstoff-Kernnetz diese Unterschiede abdecken kann. Je nach Nachfrageszenario könnten bis 2045 mehr als drei Viertel des regionalen Wasserstoffbedarfs in Landkreisen anfallen, die eine gute oder sehr gute Anbindung an das Wasserstoffkernnetz aufweisen könnten. Allerdings könnte je nach Szenario ca. ein Sechstel des Bedarfs in Landkreisen anfallen, die keinen Anschluss an das Wasserstoffkernnetz aufweisen und daher auf lokale Erzeugung von Wasserstoff angewiesen wären.
Das zeigt die aktuelle Kurzstudie „Regionalization of Hydrogen Scenarios – A comparative analysis of demand, infrastructure and supply“, die von einem Team des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität zu Köln verfasst und von der Förderinitiative Wasserstoff der Gesellschaft zur Förderung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln e.V. unterstützt wurde.
Die regionale Verteilung der künftigen Wasserstoffnachfrage in Deutschland hängt stark von der Anwendung ab. Bei Industrieprozessen wie der Stahlherstellung und Raffinerien könnte sich die Nachfrage auf wenige Regionen mit hohen Anteilen konzentrieren. Im Gegensatz dazu könnte die Wasserstoffnachfrage vom Verkehrs- und Wärmesektor über viele Regionen flächendeckend verteilt sein. Aus diesem Grund hat das EWI in dieser Kurzstudie für verschiedene Sektoren und Branchen separate Verteilungsschlüssel ermittelt, die den Anteil der Region an der Gesamtwasserstoffnachfrage dieser Branche abschätzen. Die Verteilungsschlüssel basieren je nach Branche auf bestehenden Industriestandorten oder demografischen Daten wie der Bevölkerungsdichte und dem Bestand an Fahrzeugen.
Bestehende Energiesystemstudien schätzen den künftigen Wasserstoffbedarf sehr unterschiedlich ein. In der vorliegenden Kurzstudie wurden drei Szenarien untersucht, die einen Wasserstoffbedarf zwischen 230 TWh und 840 TWh im Jahr 2045 ausweisen. Bei dem Szenario, das den geringsten Bedarf ausweist, konzentriert sich die Wasserstoffnachfrage auf die Sektoren Industrie und Strom (Langfristszenarien (LFS) III). In den anderen beiden untersuchten Szenarien (basierend auf der dena Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität (DENA) und dem Nationalen Wasserstoffrat (NWR)) wird von einer signifikanten Nachfrage in allen Sektoren ausgegangen. Da die Sektoren Wärme und Verkehr flächendeckendere Nachfrage aufweisen könnten, würde sich in diesen Szenarien auch die Gesamtnachfrage flächendeckend über Deutschland verteilen.
Vergleicht man die Szenario-basierte Nachfrage mit dem geplanten Wasserstoffkernnetz, so liegt der Großteil der Nachfrage in Landkreisen, die gut oder sehr gut an das Kernnetz angeschlossen sein könnten. Im Jahr 2030 könnte je nach Szenario 4 bis 13 Prozent der Nachfrage in Regionen anfallen, die keinen Anschluss an das Kernnetz im geplanten Endausbauzustand aufweisen. Im Jahr 2045 könnte dieser Anteil auf bis zu 18 Prozent steigen, wenn Wasserstoff auch in den Sektoren Wärme und Verkehr zum Einsatz kommt. „Dabei ist allerdings zu beachten, dass je nach Größe des Landkreises eine signifikante Distanz zwischen dem Kernnetz und der Nachfrage liegen könnte“, sagt Dr.-Ing. Ann-Kathrin Klaas, die die Kurzstudie zusammen mit Merit Dressler, Lisa Restel und Felix Schäfer verfasst hat.
Bis zum Jahr 2030 ist aktuell der Aufbau von mehr als 10 GW Elektrolyseleistung in Deutschland geplant. Das zeigen frühere Analysen des EWI im Rahmen der H2-Bilanz. Diese Elektrolyseure könnten, je nach Auslastung, zwischen 14 und 28 TWh Wasserstoff pro Jahr erzeugen. Allerdings sind 85 Prozent der Produktion in Landkreisen geplant, die eine sehr gute Anbindung an das Kernnetz aufweisen könnten. Basierend auf den getroffenen Annahmen würde nur ca. 1 Prozent des Wasserstoffs in Landkreisen produziert werden, die in der aktuellen Planung keinen Zugang zum Kernnetz hätten. Damit ließe sich nur weniger als 1 Prozent der Szenario-basierten Nachfrage in diesen Landkreisen decken. „Aktuell ist kein Zusammenhang zwischen künftiger dezentraler Erzeugung und dezentraler Nachfrage von Wasserstoff zu erkennen. Eine systemdienliche Verortung von Elektrolyseuren könnte den Aufbau von lokalen Wasserstoff-Clustern bestärken und flächendeckenden Infrastrukturausbau vermeiden“, sagt Dr.-Ing. Ann-Kathrin Klaas.